Schifffahrt: Kapitäne zittern vor der Einfahrt in Singapurs Hafen - WELT

2022-09-17 08:08:05 By : Ms. Being Unique

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D er weltweiten Schifffahrt steht die größte Veränderung seit Jahrzehnten bevor: Ab Januar 2020 müssen Schiffe auf den Weltmeeren einen wesentlich niedrigeren Schwefelgehalt in den Kraftstoffen einhalten. Heute liegt die globale Obergrenze für Schwefel bei 3,5 Prozent, ab dem kommenden Jahr sind nur 0,5 Prozent erlaubt. Festgelegt hat dies die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO), eine Unterorganisation der Vereinten Nationen. Die Vereinbarung ist bindend für die 173 Mitgliedsstaaten. Für die Kontrolle ist jedes einzelne Land selbst zuständig.

Dass einige Länder die neuen Umweltregeln sehr ernst nehmen werden, zeigt diese Ankündigung: Der asiatische Stadtstaat Singapur droht Kapitänen mit einer Gefängnisstrafe, sollten sie mit Schiffen in den Hafen kommen, die die neuen Grenzwerte nicht einhalten. Die Gerichte können Strafen von bis zu zwei Jahren verhängen, zitiert der Fachdienst G-Captain die Maritime and Port Authority of Singapore. Auch hohe Geldstrafen sind vorgesehen. In Fällen etwa von Dokumentenbetrug soll Gefängnis statt Strafzahlung die Konsequenz sein. Internationale Anwaltskanzleien sehen in dem Vorgehen sogar einen weltweiten Maßstab.

Kontrolliert wird von den Behörden Singapurs fortan, ob die Frachtschiffe überhaupt über die notwendige technische Ausstattung der Schiffsmaschine verfügen. Dies betrifft sowohl Schiffe unter der Flagge von Singapur wie auch andere Flaggenstaaten. Dabei werden staatliche Mitarbeiter an Bord der Frachter gehen und Proben aus den Schiffstanks entnehmen, die dann wiederum von spezialisierten Labor-Firmen geprüft werden.

Was nun droht, ist eine Übergangsphase mit Rechtsverstößen. Denn Schifffahrtsexperten erwarten, dass in der Anfangszeit nach Inkrafttreten der neuen Grenzwerte eine nicht geringe Zahl an Reedereien noch die alte Praxis beibehalten wird. Schließlich umfasst die weltweite Flotte etwa 50.000 Frachtschiffe, und längst nicht jeder Reedereibetrieb hat die nötigen technischen Umbauten bereits vollzogen.

Auf hoher See dürfte weiterhin herkömmliches Schweröl verbrannt werden. „Es ist gut vorstellbar, dass nach dem Januar 2020 Kapitäne gegen die Grenzwerte verstoßen werden“, sagte Daniel Rieger, der beim Naturschutzbund Deutschland die Verkehrspolitik leitet. Schließlich weise die Überwachung auf See große Lücken auf. „Draußen auf dem Meer werden sich etliche Schiffsführer sicher sein, dass sie nicht auffallen werden“, sagte Rieger.

Für die Reeder gebe es eine „erhebliche ökonomische Motivation“, den falschen Kraftstoff zu nutzen. Statt der Kontrollen ausschließlich von Land aus fordert der Umweltexperte Messungen an Bord der Schiffe. „Doch dagegen sträuben sich die Schifffahrtsunternehmen bislang“, sagte Rieger.

Derzeit belasten Frachtschiffe die Umwelt durch den hohen Ausstoß von Rußpartikeln, Schwefeldioxid und Kohlendioxid aus den Schiffsschloten ganz erheblich. Weltweit ist der Seetransport für knapp drei Prozent der Kohlendioxidemissionen verantwortlich.

Dabei sind Alternativen zum heutigen Schiffsbetrieb vorhanden: Die Schiffsmotoren können statt des Bunkeröls sogenannten Schiffsdiesel nutzen. Dieser Treibstoff hält die neuen Grenzwerte ein, ist aber um mindestens ein Drittel teurer. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, das herkömmliche Schweröl beizubehalten und über Reinigungsanlagen sowie Rußpartikelfilter die neuen Grenzwerte einzuhalten. Als fortschrittlichere Lösung bietet sich an, den Schiffsantrieb auf Alternativen wie das Flüssigerdgas LNG umzustellen. Mit diesem Liquefied Natural Gas werden Emissionen von Schwefeloxid sowie Feinstaub vermieden, Stickoxid wird stark reduziert.

Allerdings ist der Bedarf riesengroß: Die weltweiten Raffinerien müssten 700.000 Barrel Rohöl (Fass mit 159 Litern) mehr am Tag verarbeiten, um den Bedarf der Schifffahrt an schwefelarmem Kraftstoff decken zu können. Dies sind Berechnungen von Energieanalysten, die von Bloomberg befragt wurden.

Singapur ist der zweitgrößte Seehafen der Welt und der bedeutendste Platz für das Betanken großer Schiffe in Asien. Ziel der Behörden ist es, zu verhindern, dass zukünftig noch Schweröl in den Gewässern des Territoriums von Singapur verbrannt wird. Zudem führt der hohe Anteil an Rußpartikeln aus den Schiffsschloten etwa zu Asthmaerkrankungen. Gesundheitsorganisationen machen den Schwefelausstoß für den vorzeitigen Tod Hunderttausender Menschen verantwortlich.

Der autoritär geführte Staat ist für derartige Regeln bekannt: Die bislang härteste Strafe in der Schifffahrt verhängte ein Gericht in Singapur vor einigen Jahren für ein Umweltvergehen, als es den Schiffseigentümer, Schiffskapitän sowie Schiffsagenten zu jeweils 400.000 Dollar Strafzahlung verurteilte. Der Kapitän erhielt zusätzlich eine dreimonatige Gefängnisstrafe. Damals war es um Ölverschmutzungen gegangen. Dieses Verfahren ist weltweit verbreitet: So zahlt auch in Deutschland der Kapitän eine mögliche Bußgeldstrafe und nicht dessen Reederei.

Aus Sicht der deutschen Behörden begehen die Umweltsünder unter den Reedern lediglich einen Verstoß gegen die Schadstoffgrenzwerte und damit eine Ordnungswidrigkeit. Das wiederum zieht ein Bußgeld nach sich. Die Bandbreite dafür sind einige wenige Hundert Euro. In Spanien oder Schweden etwa liegen diese Summen um ein Vielfaches höher.

In Teilen der deutschen Gewässer gelten bereits andere Grenzwerte. So existieren seit dem Jahr 2015 in bestimmten Gebieten der Nordsee und Ostsee sogenannte Kontrollregionen mit einer niedrigen Schwefelobergrenze von 0,1 Prozent. An den Küsten wie auch in den deutschen Seehäfen wird dies überprüft. Etwa an den Liegeplätzen des Hamburger Hafens darf der Wert von 0,1 Prozent nicht überschritten werden. Zudem werden in Wedel an der Elbe die Werte jedes vorbeifahrenden Schiffes gemessen.

Zuständig für das Thema ist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) in Hamburg. „Das BSH wird Verstöße sanktionieren wie bisher, auch wenn der Bußgeldkatalog natürlich regelmäßig aktualisiert wird“, hieß es auf Anfrage von der Behörde. Darüber hinaus müssten die Kontrolleure ab dem nächsten Jahr eigentlich sicherstellen, dass die in ihren Gewässern fahrenden Frachtschiffe ausschließlich schwefelarme Kraftstoffe an Bord haben oder über geeignete Reinigungstechnik verfügen. Konkret muss der Kapitän nachweisen, dass eine sogenannte Entschwefelungsanlage eingebaut ist. Wie das BSH als Kontrollinstanz damit umgehen und diese Aufgabe umsetzen will, dazu gibt es keine Angaben.

Immerhin ist das BSH dazu verpflichtet, jährlich mindestens zwei Prozent der Seeschiffe in deutschen Gewässern zu kontrollieren. Nach Angaben der Behörde verwenden 99 Prozent der erfassten Schiffe „regelkonformen Treibstoff“ und halten die international festgelegten Grenzwerte ein. Zum Vergleich: Im gesamten Mittelmeerraum gibt es keine derartig niedrigen Grenzen, dort gilt der hohe Wert von 3,5 Prozent. Mit dem Jahreswechsel 2020 und der Ausweitung der Umweltregeln auf die Weltmeere werden sich die Arbeitsbedingungen in der Schifffahrt wesentlich verändern.

„Die Verschärfung bedeutet allerdings erhebliche Mehrkosten und Investitionen“, sagte Ralf Nagel, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbands Deutscher Reeder. Deshalb fordert der Lobbyist, dass in den Häfen auf der ganzen Welt die Einhaltung der Vorschriften konsequent kontrolliert und wirksam sanktioniert wird. „Zudem kann das Nichteinhalten der Schwefel-Regeln Vertragsstrafen bei Kunden der Reedereien nach sich ziehen, die heute ebenfalls großen Wert auf nachhaltiges Verhalten legen“, sagte Nagel. Grundsätzlich, so betont der Verband, begrüßten die Reeder die verschärfte Regelung.

Mit einem Transportanteil von 80 Prozent ist die Seeschifffahrt das Rückgrat des globalen Welthandels. Der Schiffstransport stieg in den vergangenen Jahren mit niedrigen einstelligen Prozentraten. Selbst in Deutschland und in Zeiten eines kaum mehr vorhandenen Wirtschaftswachstums legt der Seetransport weiter zu. So hat gerade das Bundesamt für Güterverkehr die aktuelle Prognose veröffentlicht und nennt für das Transportaufkommen im Seeverkehr ein Plus von jeweils gut einem Prozent für die Jahre 2019 bis 2022.

Der Weg hin zu einer umweltverträglichen Schifffahrt führt jedoch weiter. So haben die Mitgliedstaaten der IMO im Frühjahr 2018 mit großer Mehrheit ein Abkommen zur Halbierung des Kohlendioxidausstoßes der Seeschifffahrt bis zum Jahr 2050 verabschiedet. Gemessen wird dies an dem Ausstoß des Jahres 2008. „Das ist ein wichtiges Signal dafür, dass auch in der Schifffahrt eine Abkehr von fossilen Brennstoffen bevorsteht“, sagte der Maritime Koordinator der Bundesregierung, Norbert Beckmann, dem Fachblatt Deutsche Seeschifffahrt. Bislang gab es für den globalen Seetransport keinerlei Umweltabkommen – er ist nicht Teil des Pariser Klimaschutzabkommens.

Einen anderen Weg geht der Hafen Rotterdam, der mit Abstand größte Seehafen Europas. Die Niederländer zahlen Schifffahrtsbetrieben eine Prämie, wenn sie umweltverträgliche Treibstoffe einsetzen. Dafür stehen zunächst fünf Millionen Euro zur Verfügung. „Wir wollen eine aktive Rolle bei der Reduzierung der Kohlendioxidemissionen in der Schifffahrt spielen“, sagte der Vorstandschef der Rotterdamer Hafenbehörde Allard Catslein. Erforscht werden dabei auch Biokraftstoffe für Schiffsmotoren.

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